Die Lese-Rechtschreib-Schwäche (auch Dyslexie genannt) betrifft Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Obwohl sie genauso intelligent sind wie andere und Zugang zu Bildung haben, fällt es ihnen schwer, Lesen und Schreiben zu lernen. Eine neue wissenschaftliche Untersuchung gibt nun spannende Einblicke in die Vorgänge im Gehirn, die hinter dieser Lernschwäche stecken. Diese Ergebnisse könnten dabei helfen, die Diagnose zu verbessern und neue Ansätze für die Förderung von Betroffenen zu entwickeln.
Was passiert im Gehirn bei Dyslexie?
Forscherinnen und Forscher haben bisher vor allem das äußere Gehirn, also den Kortex, untersucht, wenn es um die Ursachen der Dyslexie ging. Doch die aktuelle Studie zeigt, dass auch tiefere Bereiche des Gehirns eine Rolle spielen – genauer gesagt der sogenannte „visuelle Thalamus“. Diese Gehirnregion leitet Informationen aus den Augen weiter und hilft dabei, schnelle Bewegungen und Veränderungen im Blickfeld zu erkennen. Besonders wichtig ist hier eine Untereinheit, die „magnocelluläre Schicht“ oder kurz M-LGN genannt wird.
Mit einer besonderen Art von Gehirn-Scan haben die Wissenschaftler festgestellt, dass diese Schicht bei Menschen mit Dyslexie anders arbeitet und aufgebaut ist als bei Menschen ohne Lese-Rechtschreib-Schwäche. Eine andere Schicht des visuellen Thalamus, die „parvocelluläre Schicht“ (P-LGN), zeigte hingegen keine Unterschiede. Diese Schicht ist eher für feine Details und Farben zuständig.
Warum ist das wichtig?
Die Veränderungen in der M-LGN könnten erklären, warum Menschen mit Dyslexie oft Schwierigkeiten haben, Buchstaben oder Zahlen schnell zu erkennen und auszusprechen. Diese Fähigkeit, die man für flüssiges Lesen und Schreiben braucht, ist bei Betroffenen oft eingeschränkt. Besonders bei männlichen Betroffenen fiel dieser Zusammenhang in der Studie auf, was darauf hindeutet, dass sich die Lernschwäche bei Männern und Frauen unterschiedlich äußern könnte.
Die Forscher entdeckten außerdem, dass die linke Gehirnhälfte bei Menschen mit Dyslexie eine größere Rolle spielt als bei typischen Lesern. Diese sogenannte „Lateralisierung“, also die Verteilung der Aufgaben auf die beiden Gehirnhälften, könnte ein Schlüssel sein, um die Herausforderungen beim Lesen besser zu verstehen.
Wie können diese Erkenntnisse helfen?
Die Ergebnisse der Studie sind ein großer Fortschritt. Sie zeigen, dass Dyslexie nicht nur eine Störung in den äußeren Bereichen des Gehirns ist, sondern dass auch tieferliegende Regionen eine wichtige Rolle spielen. Dieses Wissen könnte auf verschiedene Arten genutzt werden:
- Früherkennung: Durch neue Untersuchungsmethoden könnte man bei Kindern schon früh feststellen, ob sie ein Risiko für Dyslexie haben, und ihnen rechtzeitig helfen.
- Gezielte Förderung: Wenn man weiß, dass Jungen und Mädchen möglicherweise unterschiedliche Formen der Dyslexie haben, könnte man die Förderung darauf anpassen.
- Neue Therapien: Es gibt erste Hinweise, dass Behandlungen wie Gehirnstimulation gezielt auf diese tieferliegenden Gehirnbereiche wirken könnten. Das könnte eine wirksame Hilfe für Betroffene sein, besonders für männliche Betroffene, die laut der Studie besonders betroffen sein könnten.
Was bleibt offen?
Auch wenn die Studie viele neue Erkenntnisse gebracht hat, gibt es noch offene Fragen. Zum Beispiel ist nicht klar, ob diese Veränderungen im Gehirn die Ursache für die Dyslexie sind oder ob sie durch die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben entstehen. Weitere Studien über längere Zeiträume könnten dabei helfen, diese Frage zu klären.
Fazit
Diese Forschung zeigt, dass Dyslexie weit mehr ist als nur ein Problem beim Lesen und Schreiben. Sie hat ihre Ursachen tief im Gehirn, in Bereichen, die für die Verarbeitung von Bewegungen und schnellen Reizen zuständig sind. Die Ergebnisse geben Hoffnung, dass man Menschen mit Dyslexie in Zukunft früher und besser unterstützen kann. Mit diesen Erkenntnissen können wir daran arbeiten, dass jedes Kind die Chance hat, das Lesen und Schreiben zu lernen – ganz unabhängig von den Herausforderungen, die Dyslexie mit sich bringt.
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Wichtige Erkenntnisse:
- Dyslexie betrifft nicht nur das äußere Gehirn, sondern auch tieferliegende Bereiche wie den visuellen Thalamus.
- Besonders die linke Gehirnhälfte und eine bestimmte Schicht des Thalamus spielen eine wichtige Rolle.
- Die Forschung könnte helfen, Dyslexie früher zu erkennen und neue Ansätze für die Förderung und Therapie zu entwickeln.
Zum Artikel Dysfunction of the magnocellular subdivision of the visual thalamus in developmental dyslexia von Christa Müller-Axt, Louise Kauffmann, Cornelius Eichner, Katharina von Kriegstein.